Spotlight: Mitternacht, Jalan Parangtritis, die
Hauptstraße die in mein Dorf führt. Aus Nachlässigkeit und leichtem
Alkoholholkonsum geht mir das Benzin aus. Nachts, dunkel gekleidet, ohne Licht
oder Handy auf einer Hauptverkehrstraße stehend – ich kann mir sicherere
Szenarien vorstellen. Aber gut: Nach Hause sind es 2km, es ist wenig Verkehr
und das Motorrad wird schon keiner klauen – in der Stadt schließt schließlich
auch niemand die Roller ab. Keine 200m weiter hält eine beräderte,
gelb-reflektierende Weste vor mir – der Polizist steigt ab, fragt höflich ob
ich mich verlaufen habe und bietet mir nach Erklärung der Situation eine Fahrt
zur nächsten Tankstelle an. Keiner von uns trägt den gesetzlich
vorgeschriebenen Helm, und das Licht an seinem Motorrad funktioniert ebenfalls
nicht. Mein Freund und Helfer: hätte er mich seinerseits beim ohne-Helm-Fahren
erwischt, hätte mich das 50ribu Bestechungsgeld oder einen unangenehmen Besuch
auf dem Revier gekostet; von meinem nicht existenten Führerschein ganz zu
schweigen.
Story: Aus gegeben Anlass möchte ich mich heute
mal über die etwas unschöneren Seiten des Lebens in Indonesien auslassen – oder
vielleicht über die, die für kurzfristige Besucher weder sichtbar, noch
unbedingt relevant sind. Bei längerem hier Leben fallen unbedingt 3 Dinge ins
Auge: wie Kleinkriminalität scheinende Banden- fast schon Mafiavorgänge die
sich locker bis hoch in die Ministerämter erstrecken, und von Korruption und
Schutzgeldern gefüttert werden; religiöser Fundamentalismus bzw. die
Diskriminierung von Nicht Moslems, sowie eine etwas allgemeinere Frage nach dem
was etwas unsauber gerne “Sichterheit” genannt wird. Logischerweise füttern diese drei in- und voneinander.
Das mal vorne weg: Indonesien ist sicher. Für
weiße Touristen. Anders als in vielen Orten, die bereist habe, fühle ich mich
in Jogja wirklich sicher. Wenn ich nachts alleine nach Hause laufe habe ich
selten bis nie das Gefühl, mich umgucken zu müssen. Bis jetzt wurde ich nachts
wie tagsüber kein einziges Mal blöd angemacht, belästigt oder bestohlen. Das
alles war zum Beispiel nachts in Budapest an der Tagesordnung (besonders, wenn
man in einer von Neonazis dominierten Gegend wohnt, und Dreadlocks hat). Wiedermal
allerdings trügt der Schein. Es fordert genaueres Hinsehen und Aufpassen um
bestimmte Dinge zu bemerken.
Nach längerem Aufenthalt in Gegenden Jogjas und
Indonesiens, die nicht auf Touristen gepolt sind, beginnen einem gewissen Dinge
komisch vorzukommen, fallen bestimme Verhaltenmuster aus der Reihe. In meinem
Stammwarung direkt neben der Uni gelegen: der Besitzer Santos, ein grundweg
gutgelaunter Mittdreißiger, gerne auf Tischen tanzend zu sehen, versteckt sich
auf einmal hinter seinem riesigen Kassiertisch, als zwei stämmige Männer mit
langen, in Zöpfen zusammengefassten, öligen Haaren hereinlaufen. Eine
geflüsterte Unterhaltung; Gesten, die alles andere als freundlich scheinen. Einer
der beiden schaut sich in regelmäßigen Abständen warnend im Warung um: mal
gucken, ob einer guckt. Ein Umschlag wird überreicht, einer der beiden klopft
(schlägt) Santos noch auf die Schulter und dann sitzen die beiden schon wieder
in Ihrem BMW und brausen davon. Übrigens der erste BMW den ich hier sehe.
Auf dem Weg zum Strand: hinter der das Delta
überspannenden Brücke versperrt eine rote Schranke die Straße. Letzte Woche war
die zwar da, aber offen. Jetzt stehen da Männer in sehr militärisch anmutenden
Uniformen (aber ohne sichtbare Waffen), winken einige Fahrzeuge hindurch,
halten andere an. Als Weiße werden wir natürlich angestoppt. 20ribu (20000IDR)
möchte der Herr von uns haben. Weggeld. Weg-zudiskutieren gibt es da nichts,
weil dieser Mann der größten von den zahlenreichen paramilitärischen Vereinigungen
des Landes angehört, die unter anderem
in großem Maße den Militärcoup von 1965 getragen haben. Diese spezielle
Vereinigung – Pemuda Pancasila - stellt im übrigen den Regierungschef, sowie
zwei Drittel aller Minister. Mit diesem Wissen bestückt handeln wir den Herrn
auf die Hälfte der Summe herunter, bezahlen und fahren weiter. Einschüchternd,
bedrohlich, oder doch nur etwas lästig?
In
einer der wenigen Lokale Jogjas in denen Alkohol ausgeschenkt wird und die
nicht der Kategorie „für Touristen gemacht“ angehören: Schon beim reinkommen
informiert uns die Bedienung, der Alkohol sei für die nächsten Wochen habis (leer). So erfahre ich, wo der
nicht importierte Alkohol in Indonesien überhaupt her kommt, denn als
muslimische Provinz, ist die Brennerei auf Java verboten. Natürlich gibt es
Schwarzbrenner, die das herstellen, was im englischen als Moonshine bezeichnet
wird. Aber die wirklichen Mengen, die später in Läden wie diesem zum Verkauf
stehen, werden durch spezielle Lizenzvergebung hergestellt. Einige Dörfer sind als
hinduistisch anerkannt, was die Alkoholherstellung religiös legitim macht und
ihnen daher staatlich vergebene Lizenzen einbringt. In Solo, ca. 40km von Jogja
entfernt gibt es eine solche community. Daher bekommt dieses Lokal seinen
Alkohol. Nun ist der Grund für das momentane Fehlen von
Alkohol jedoch nicht wie vielleicht anzunehmen, in Rivalitäten über die
Lizenzvergabe zu suchen (die es natürlich gibt – Profitgier macht auch vor
Moslems keinen Halt). Stattdessen gibt es für die nächsten Wochen keinen
Alkohol, weil eine islamisch-fundamentalistische Gruppierung die Zuckerfabrik
niedergebrannt hat, aus der die Brennerei beliefert wird.
Interpretieren kann man dieses, wie auch andere
Vorkommnisse aus verschiedenen Perspektiven: zum einen ergibt sich daraus die
Frage über die eigene Sicherheit. Prinzipiell kann ich mich weiterhin insofern
sicher fühlen, da ich mich bemühe den Weg zwielichtiger Gestalten nicht zu
kreuzen (übrigens noch ein Grund, kein Gras zu rauchen oder kaufen). Zu diesem
Bemühen gehört auch, mich möglichst von der Polzeit fernzuhalten.
Möglicherweise einer der auffallensten Unterschiede zwischen Westeuropa und dem
Rest der Welt: Wenn der durchschnittliche Berliner einen Polizisten sieht,
fühlt er sich sicher. Wer hier einen Polizisten sieht, sucht pronto das Weite.
Als eine andere, und für mich viel beunruhigende
Interpretation der obrigen Vorgänge jedoch, erscheint mir die offene Alltäglichkeit,
mit der betrogen, bestohlen, sabotiert und erpresst wird. Über die Verbindungen
organisierten Kleinkriminalität und paramilitärischer Verbände zur Politik zu
spekulieren erscheint sinnlos, so offensichtlich sind sie. Leichthin füttert Kleinkriminalität ins
organisierte Verbrechen und in den Drogenhandel, welches wiederum von
paramilitärischen Verbindungen geduldet, weil profitabel ist; diese wiederrum
stellen einen Großteil der Regierungsvertreter, deren mangelnde Diäten durch
Schmiergelder und Wahlkampagnenunterstützung nett aufgebessert werden. Eine
Win-Win-Win Situation sozusagen...
Auffallend weil ebenfalls offensichtlich ist auch,
dass niemand das Kind so beim Namen nennen wird wie ich es hier tue. Niemand
wird sagen „diese Männer erpressen Schutzgeld“. Vielmehr höre ich häufig
Indonesier vom Phänomen der „businessmänner“ reden – ein ominöser Unterton,
aber eben auch eine gewisse Bewunderung, schwingen mit. Ebenfalls sprechen
viele Laden- und Kantinenbesitzer gern und viel über die Sicherheit ihrer
Lokale und Familien. Meistens höre ich Leute sagen, wie gut es ist, dass menschliche
Gemeinschaft, wenn auch für einen Preis, Sicherheit des Geschäfts und der
Familie bereitstellt. Kuriose Einschätzung, das.
In der Soziolinguistik gilt es als erwiesen, dass
die Terminologie mit der Phänomene und Ereignisse beschrieben werden (die Worte
die wir Dingen anhaften) unsere Interpretation der Sinnererfahrungen dieser
Phänomene vorwegnimmt. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn ich also sage „der Himmel
ist blau und das ist so, weil jeder das sagt, auch meine Bücher“, erhebe ich
mich selbst dadurch apriori von der Verantwortung, den Wahrheitsgehalt meiner
Aussage zu überprüfen. Ich beschließe meine Meinung, bevor ich den Himmel
betrachtet habe. An einer US-Amerikanischen Uni gab es dazu mal ein tolles
Experiment: mitten in einer Soziologievorlesung rannte auf einmal ein Mann
durch den Raum der von einem anderen Mann in Skimaske und mit Messer bewaffnet
verfolgt wurde. Der Flüchtende war schwarz, die Identität des zweiten nicht
auszumachen. Hinterher sagten 70% der Studenten aus, der Verfolger wäre
schwarz, der Flüchtende weis gewesen.
Vereinfacht ausgedrückt sagt Slavoj Zizek dazu,
dass wir zum Beispiel als Tourist in einem Land nur das erkennen, was wir vor
Beginn der Reise zu sehen bereit waren. Der menschliche Geist hat eine
unglaubliche Gabe, sich selbst zu bescheißen und Wahrnehmung und
Wunschvorstellung zu synchronisieren. Wir machen Sinneserfahrungen zu linguistischen
Repräsentationen dessen, was wir gerne erlebt hätten. Indem wir es sprachlich
rezitieren und daran glauben, wird das subjektiv erwünscht-Erlebte wahr. Glaube
versetzt nicht nur Berge, er verändert auch Erinnerungen. Dies ist natürlich
eine Verallgemeinerung und kritische Gruppen- und Selbstreflektion kann apriori
Urteilen entgegenwirken, geht im Alltag aber leider häufig unter.
Ich erkläre dies, weil ich nicht umhin kann, den
Gegebenheiten hier eine ähnlich Interpretation zu geben. Wenn Korruption,
Erpressung und Sabotage auf den meisten Ebenen der Gesellschaft an der
Tagesordnung sind, hebt sich die Frage nach Recht oder Unrecht auf und wird
ersetzt durch das sich-arrangieren. Schließlich leben es einem die Mächtigen
des Landes ja vor. Niemand wird von 20Ribu Weggeld unglaublich reich. Und
niemand verhungert, weil er es bezahlt. Es geht nicht mehr darum diese Vorgänge
anzuprangern oder zu versuchen sie zu ändern, sondern darum, damit zu leben.
Sie werden Normalität, und die sprachliche Repräsentation des als normal
empfundenen reflektiert diese Realität.
Diese Männer sagen, sie sorgen für die Sicherheit
meiner Familie, also erkläre ich was sie tun als Schutz. Für mich ist es
einfacher, sicherer und realer zu glauben, dass sie das gegen Gebühr tun, als
zu fragen, was sie eigentlich tun. Das ist ein bisschen wie in einem Discounter
Kaffee zu kaufen, aber lieber nicht wissen zu wollen, wo der herkommt oder wie
er produziert wird. Oder bei Starbucks Kaffee zu trinken und das Gewissen mit
dem hypokritischen Versprechen zu beruhigen, 2cent aus jeder Tasse gingen an
ein Bildungsprojekt in Nicaragua (zu dem Thema gibt es übrigens gerade einen ungewöhnlich
lesenswerten Artikel in der Süddeutschen: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verteilung-von-nahrungsmitteln-notstand-im-globalen-supermarkt-1.1852376).
Jedenfalls werden Unwissenheit, oder aber die Weigerung sich Wissen zu
verschaffen, so zu Selbstschutzmechanismen in einer täglich erlebten Realität.
Dass solcher Selbstschutz, solches arrangieren nötig ist kann ich gut oder
schlecht finden, aber es an irgendjemandem ausser mir selbst zu verurteilen..
das fällt schwer.
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