Spotlight: Es heisst, dass jedes Haus auf Bali einen
Tempel in sich hat. Was wie ein Vorurteil anklingt, lässt sich bestätigen. Im Gegensatz
zu Java, Lombok und den anderen Inseln Indonesiens ist nämlich Balis offizielle
Religion der Hinduismus. Kaum zu übersehen, denn am Wegesrand wimmelt es von
kleinen und großen Tempeln, irgendeiner Gottheit gewidmet, brennen Räucherstäbchen,
tragen Männer wie Frauen gewickelte Sarongs, gibt es Kopftücher höchstens als Sonnenschutz. Der Unterschied
sticht aus, kaum zu glauben, dass man sich im selben Regierungsgebiet befindet…
Wieso halten Menschen, im Angesicht von Repression and Verfolgung, trotz allem an
einer bestimmten Religion oder ihren Traditionen fest?
Story: Anstatt des ohrenbetäubenden Allahu akbar der Moscheen in Jogja gibt
es auf Bali zum Sonnenaufgang lediglich die sanften Gongs hinduistischer
Trommeln, die zur Morgenandacht rufen. Alkohol wird überall zum Verkauf
angeboten und die Inseldelikatesse ist Suckling Pig – eine Art Spanferkel das
über Bananenblättern geräuchert wird. Im Garten jedes Hauses steht eine kleine, steinerne Andachtsstelle, an die Obst als Opfergabe gestellt und mit Blumen und Räucherstäbchen geschmückt wird. All das auf Java? Undenkbar. Vielleicht
ist Bali auch deshalb Touristenparadies. Wenn man der Geschichtsshreibung glauben schenken darf, waren vor Ankunft
der Moslems ein Großteil der Menschen auf Java Hindus. Jene, die ihre Religion
nicht aufgeben wollten, flohen anstatt zu konvertieren in das damalige
Königreich Bali. Bis heute hat die Insel einen besonderen Status in Indonesien,
sowie den Ruf abtrünnig, ungewöhnlich zu sein. Während der Verfolgungen des Suharto
Regimes, wurden Balinesische Hindus, anders als Christen und Kommunisten nur
verfolgt, wenn sie ausserhalb Balis ihre Religion propagierten.
Häufig ist es schwierig, Traditionen auf ihre Herkunft zu erkunden. Diesbezügliche
Fragen werden mit althergebrachten, etablierten Erklärungen abgeschrieben. “Weil
das eben so ist” oder “das haben wir schon immer so gemacht” sind zwar
Begründungen, aber doch keine Gründe und daher frustrierend für den, der die
Geschichte oder historischen Hintergründe für bestimmte Verhaltenmuster
erfahren möchte. Zumal die Frage nach dem Warum eine sehr europäische zu sein
scheint. Getreu dem Englischen Sprichwort: Don’t fix what ain’t broken (Es gilt
nicht zu reparieren, was nicht kaputt ist), scheint die indonesische Begründung für viele
Verhaltenmuster ein simples: „Naja, es funktioniert doch, oder?“ zu sein. Stimmt, funktionieren, tut es.
Ein Beispiel: Seit Generationen, so wird mir erklärt, pflanzen Reisbauern
ihre Setzlinge von Hand in die Felder. Und jetzt, in der mittleren Regenzeit
kann man in der Tat Männer und Frauen in geflochtenen Strohhüten auf den Feldern
beobachten, wie sie über Stunden motorisch Stängel auf Stängel in die sumpfige
Erde drücken. Wieso dieser Aufwand? – Vor fünfzig, sechzig vielleicht hundert Jahren
hat das Unterfangen durchaus Sinn gemacht; indem man aus der Saat unter Glas
und Beobachtung Setzlinge zieht stellt man sicher, dass Vögel die wertvollen
Körner nicht stehlen. Aber heutzutage, und vor allem in den dichtbevölkerten,
suburbanen Gebieten Javas, wo es nur wenige, stark zerstückelte Reisfelder
gibt, sind Vögel Mangelware. Außerdem wächst in der Regenzeit alles so schnell,
dass die Körner nachdem sie der Erde zugeführt werden, allerhöchstens 2 Tage
zum Keimen und Austreiben brauchen. Die Bananenpalme vor dem Haus produziert
schließlich auch jede Woche neue Früchte.
Trotzdem ist also die Antwort auf Fragen nach der
Reisanbautradition „weil die Vögel sonst immer die Körner stehlen“. Dabei sehe
ich nie Vögel auf den Feldern. Dies ist nicht nur der Ausrottung ihrer
Lebensräume, sondern auch einer weiteren, in diesem Fall ausnehmend muslimischen
Tradition zuzuschreiben. Vögel, und Singvögel im Besonderen bringen Glück. Und
so werden die Tiere in fast jedem Haushalt als Talisman oder Glücksbringer in
kleinen Käfigen vor den Eingang gehängt. Als Tierschützer kann man sich über
diese Tradition aufregen und wahrscheinlich zu recht. Aber das vielleicht
größere Problem rührt daher, dass niemand diese Vögel züchtet, sondern sie
stattdessen aus der Natur gefangen werden. So sehe ich häufig morgens im Garten
Männer mit Betäubungsgewehren auf Bäume schießen. Da wilde Sing- und tropische
Vögel auf Java inzwischen zu wahren Raritäten geworden sind, werden jetzt auch
Meisen, Schwalben, sogar Krähen in Käfige verfrachtet – Hauptsache, die Nachfrage
an Glücksbringern kann gedeckt werden.
Seltsam klingt an, dass Vögel in Käfigen Glück bringen, in freier Wildbahn
und in den Bäumen vor dem Haus aber nicht? Wie anders ist da wiederum Bali.
Wahrscheinlich allgemein gekannt: Hindus predigen den Respekt vor allen
lebenden Dingen. So ist es vollkommen normal, eine jahrtausendealte
Tempelanlage zu besuchen und in ihr zwischen Affen sitzende, betende Hindus
anzutreffen. Die Warumfrage dieses Mal bezeichnender beantwortet: „Die Affen
waren schließlich zuerst hier“. Ebenfalls werden Bäume, Sträucher und Büsche,
die sich in Steinnischen festsetzen nicht entfernt, sondern zum Teil des
Tempels – „nicht nur war die Natur zu erst hier, sie hat auch das Recht zu
existieren, wo immer es ihr passt“. Interessanterweise sind in der
Indonesischen Landessprache, wie auch im Javanesischen die Worte für Natur
(Alam bzw. Watak) männlich, im Balinesischen jedoch weiblich: Sampa.
Andererseits kennt keiner dieser Sprachen ein Wort für Umwelt, was das Unterrichten
von Umweltbildung wirklich schwierig macht. Wie macht man die Übersetzung eines
Wortes greifbar für das es in der Sprache (und damit im Verständnis) der Leute
kein Equivalent, nicht einmal Andockpunkte gibt. Was für einen Sinn hat es,
über Recycling, Kompostierung und Umweltschutz zu sprechen, wenn die Idee einer
Umwelt für die man Verantwortung trägt, so weit weg ist wie für Europäer die
Frage nach Selbstversorgung. Geh nach Europa und sag irgendwem, er soll seinen
Reis (seine Kartoffeln) selbst anbauen – der folgende Blick kommt ungefähr dem
gleich, was man hier auf die Aufforderung nach Umweltschutz erfährt:
Unverständnis, Irritation, die Frage ob man vielleicht Fieber hat, oder sich
kurz hinlegen möchte.
Es lässt sich nicht mit meinem Welten- oder Menschenverständnis
vereinbaren, eine Religion für ausbeutungswütiger als eine andere zu halten.
Auch glaube ich, dass solche Interpretation nur Teilansichten einer
komplexeren, nicht unbedingt wiedergebbaren Realität sind und daher
kurzgefasste Verurteilungen nicht genug tun. Zum Beispiel wird auf Bali das
meiste Essen importiert, während sich Java noch teils selbst versorgt. Auch ist
Bali Touristenhochburg, was neben jeder Menge Müll auch reichlich Geld ins Land
bringt und Priviligiertenbeschäftigungen wie Recycling zulässt. Trotzdem
scheint es unabstreitbar, dass sich Traditionen und Verhaltensmuster der beiden
Inseln in Punkten unignorierbar unterscheiden. Beides zu beobachten und
zu vergleichen ist lehrsam; das Problem ist, nicht auch im gleichen Schritt zu
verurteilen. Auch daher rührt das Bedürfnis, die Gründe für Verhalten und
Tradition zu erfahren, denn wer Hintergründe kennt, kann eher verstehen, eher
Empathie empfinden.
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