Sunday, 8 December 2013

Of Temples and Temporality


Spotlight: Es heisst, dass jedes Haus auf Bali einen Tempel in sich hat. Was wie ein Vorurteil anklingt, lässt sich bestätigen. Im Gegensatz zu Java, Lombok und den anderen Inseln Indonesiens ist nämlich Balis offizielle Religion der Hinduismus. Kaum zu übersehen, denn am Wegesrand wimmelt es von kleinen und großen Tempeln, irgendeiner Gottheit gewidmet, brennen Räucherstäbchen, tragen Männer wie Frauen gewickelte Sarongs, gibt es Kopftücher höchstens als Sonnenschutz. Der Unterschied sticht aus, kaum zu glauben, dass man sich im selben Regierungsgebiet befindet… Wieso halten Menschen, im Angesicht von Repression and Verfolgung, trotz allem an einer bestimmten Religion oder ihren Traditionen fest?

Story: Anstatt des ohrenbetäubenden Allahu akbar der Moscheen in Jogja gibt es auf Bali zum Sonnenaufgang lediglich die sanften Gongs hinduistischer Trommeln, die zur Morgenandacht rufen. Alkohol wird überall zum Verkauf angeboten und die Inseldelikatesse ist Suckling Pig – eine Art Spanferkel das über Bananenblättern geräuchert wird. Im Garten jedes Hauses steht eine kleine, steinerne Andachtsstelle, an die Obst als Opfergabe gestellt und mit Blumen und Räucherstäbchen geschmückt wird. All das auf Java? Undenkbar. Vielleicht ist Bali auch deshalb Touristenparadies. Wenn man der Geschichtsshreibung glauben schenken darf, waren vor Ankunft der Moslems ein Großteil der Menschen auf Java Hindus. Jene, die ihre Religion nicht aufgeben wollten, flohen anstatt zu konvertieren in das damalige Königreich Bali. Bis heute hat die Insel einen besonderen Status in Indonesien, sowie den Ruf abtrünnig, ungewöhnlich zu sein. Während der Verfolgungen des Suharto Regimes, wurden Balinesische Hindus, anders als Christen und Kommunisten nur verfolgt, wenn sie ausserhalb Balis ihre Religion propagierten.
Häufig ist es schwierig, Traditionen auf ihre Herkunft zu erkunden. Diesbezügliche Fragen werden mit althergebrachten, etablierten Erklärungen abgeschrieben. “Weil das eben so ist” oder “das haben wir schon immer so gemacht” sind zwar Begründungen, aber doch keine Gründe und daher frustrierend für den, der die Geschichte oder historischen Hintergründe für bestimmte Verhaltenmuster erfahren möchte. Zumal die Frage nach dem Warum eine sehr europäische zu sein scheint. Getreu dem Englischen Sprichwort: Don’t fix what ain’t broken (Es gilt nicht zu reparieren, was nicht kaputt ist), scheint die indonesische Begründung für viele Verhaltenmuster ein simples: „Naja, es funktioniert doch, oder?“ zu sein. Stimmt, funktionieren, tut es. 
Ein Beispiel: Seit Generationen, so wird mir erklärt, pflanzen Reisbauern ihre Setzlinge von Hand in die Felder. Und jetzt, in der mittleren Regenzeit kann man in der Tat Männer und Frauen in geflochtenen Strohhüten auf den Feldern beobachten, wie sie über Stunden motorisch Stängel auf Stängel in die sumpfige Erde drücken. Wieso dieser Aufwand? – Vor fünfzig, sechzig vielleicht hundert Jahren hat das Unterfangen durchaus Sinn gemacht; indem man aus der Saat unter Glas und Beobachtung Setzlinge zieht stellt man sicher, dass Vögel die wertvollen Körner nicht stehlen. Aber heutzutage, und vor allem in den dichtbevölkerten, suburbanen Gebieten Javas, wo es nur wenige, stark zerstückelte Reisfelder gibt, sind Vögel Mangelware. Außerdem wächst in der Regenzeit alles so schnell, dass die Körner nachdem sie der Erde zugeführt werden, allerhöchstens 2 Tage zum Keimen und Austreiben brauchen. Die Bananenpalme vor dem Haus produziert schließlich auch jede Woche neue Früchte.
Trotzdem ist also die Antwort auf Fragen nach der Reisanbautradition „weil die Vögel sonst immer die Körner stehlen“. Dabei sehe ich nie Vögel auf den Feldern. Dies ist nicht nur der Ausrottung ihrer Lebensräume, sondern auch einer weiteren, in diesem Fall ausnehmend muslimischen Tradition zuzuschreiben. Vögel, und Singvögel im Besonderen bringen Glück. Und so werden die Tiere in fast jedem Haushalt als Talisman oder Glücksbringer in kleinen Käfigen vor den Eingang gehängt. Als Tierschützer kann man sich über diese Tradition aufregen und wahrscheinlich zu recht. Aber das vielleicht größere Problem rührt daher, dass niemand diese Vögel züchtet, sondern sie stattdessen aus der Natur gefangen werden. So sehe ich häufig morgens im Garten Männer mit Betäubungsgewehren auf Bäume schießen. Da wilde Sing- und tropische Vögel auf Java inzwischen zu wahren Raritäten geworden sind, werden jetzt auch Meisen, Schwalben, sogar Krähen in Käfige verfrachtet – Hauptsache, die Nachfrage an Glücksbringern kann gedeckt werden.
Seltsam klingt an, dass Vögel in Käfigen Glück bringen, in freier Wildbahn und in den Bäumen vor dem Haus aber nicht? Wie anders ist da wiederum Bali. Wahrscheinlich allgemein gekannt: Hindus predigen den Respekt vor allen lebenden Dingen. So ist es vollkommen normal, eine jahrtausendealte Tempelanlage zu besuchen und in ihr zwischen Affen sitzende, betende Hindus anzutreffen. Die Warumfrage dieses Mal bezeichnender beantwortet: „Die Affen waren schließlich zuerst hier“. Ebenfalls werden Bäume, Sträucher und Büsche, die sich in Steinnischen festsetzen nicht entfernt, sondern zum Teil des Tempels – „nicht nur war die Natur zu erst hier, sie hat auch das Recht zu existieren, wo immer es ihr passt“. Interessanterweise sind in der Indonesischen Landessprache, wie auch im Javanesischen die Worte für Natur (Alam bzw. Watak) männlich, im Balinesischen jedoch weiblich: Sampa.
Andererseits kennt keiner dieser Sprachen ein Wort für Umwelt, was das Unterrichten von Umweltbildung wirklich schwierig macht. Wie macht man die Übersetzung eines Wortes greifbar für das es in der Sprache (und damit im Verständnis) der Leute kein Equivalent, nicht einmal Andockpunkte gibt. Was für einen Sinn hat es, über Recycling, Kompostierung und Umweltschutz zu sprechen, wenn die Idee einer Umwelt für die man Verantwortung trägt, so weit weg ist wie für Europäer die Frage nach Selbstversorgung. Geh nach Europa und sag irgendwem, er soll seinen Reis (seine Kartoffeln) selbst anbauen – der folgende Blick kommt ungefähr dem gleich, was man hier auf die Aufforderung nach Umweltschutz erfährt: Unverständnis, Irritation, die Frage ob man vielleicht Fieber hat, oder sich kurz hinlegen möchte.
Es lässt sich nicht mit meinem Welten- oder Menschenverständnis vereinbaren, eine Religion für ausbeutungswütiger als eine andere zu halten. Auch glaube ich, dass solche Interpretation nur Teilansichten einer komplexeren, nicht unbedingt wiedergebbaren Realität sind und daher kurzgefasste Verurteilungen nicht genug tun. Zum Beispiel wird auf Bali das meiste Essen importiert, während sich Java noch teils selbst versorgt. Auch ist Bali Touristenhochburg, was neben jeder Menge Müll auch reichlich Geld ins Land bringt und Priviligiertenbeschäftigungen wie Recycling zulässt. Trotzdem scheint es unabstreitbar, dass sich Traditionen und Verhaltensmuster der beiden Inseln in Punkten unignorierbar unterscheiden. Beides zu beobachten und zu vergleichen ist lehrsam; das Problem ist, nicht auch im gleichen Schritt zu verurteilen. Auch daher rührt das Bedürfnis, die Gründe für Verhalten und Tradition zu erfahren, denn wer Hintergründe kennt, kann eher verstehen, eher Empathie empfinden.

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